Veröffentlicht am 10. November 2021 von RKP
„Das ist das falsche Signal!“ - Pflegeheime sind keine Corona-Gefahrenorte!
„Wir haben unheimlich viel gelernt. Wir können das!“
Gelsenkirchen, 10.11.21: Seit Ende letzter Woche sind die Pflegeheime wieder in den Fokus der öffentlichen Coronadiskussion geraten. Ministerpräsident Hendrik Wüst und die Gesundheitsminister-konferenz haben eine umfangreiche Testpflicht in der Pflege angekündigt. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass in stationären Einrichtungen wieder eine Coronawelle droht. Dagegen wehren sich Silke Gerling vom Diakoniewerk Essen und Sprecherin der Ruhrgebietskonferenz-Pflege sowie Kerstin Schönlau, Geschäftsbereichsleiterin der Diakonie Gladbeck, Bottrop, Dorsten vehement: „Wir sind an einer ganz anderen Stelle als vor einem Jahr. Wir haben unheimlich viel gelernt!“
Die Entscheider in den stationären Einrichtungen sind von der aktuell laufenden Debatte über die Situation in den stationären Einrichtungen sichtlich irritiert. Kerstin Schönlau: „Wir haben sehr hohe Impfquoten bei den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie bei den Mitarbeitenden. Warum der Fokus jetzt bei uns liegt, können wir nicht nachvollziehen. Das macht den Menschen Angst und ist das falsche Signal. Auf den Intensivstationen liegen doch gerade eben nicht die besonders vulnerablen Menschen aus unseren Einrichtungen sondern die jungen Ungeimpften.“ Sie setzt auf „kluge Menschen“, die jetzt die Verordnungen schreiben müssen und den Aufwand für die Einrichungen im Blick haben. Denn „wirkliche Sicherheit bekomme ich nur, wenn ich tägliche PCR-Testungen mache.“ Das ist aus Sicht der Praktikerin auch nicht der richtige Fokus, denn „die hohen Infektionsraten kommen nicht aus unseren Einrichtungen und die Sterberaten in diesem Jahr sind niedriger als in 2020.“
Das bestätigt auch Silke Gerling für das Diakoniewerk in Essen. In ihren Einrichtungen gab es einige Impfdurchbrüche, aber „die Verläufe waren deutlich milder, auch weil wir jetzt besser wissen, wie wir mit der Infektion umzugehen haben.“ Für sie muss der Fokus jetzt eher bei den Menschen in ihrer eigenen Häuslichkeit liegen. Das bekräftigt auch Kerstin Schönlau: „Hier sind die Menschen viel gefährdeter. Mitarbeiter*innen haben bis zu 20 Kontakte in verschiedenen Haushalten. Die haben ein deutlich höheres Risiko.“
Flickenteppich bei der Boosterimpfung
Bei den aktuell viel diskutierten Boosterimpfungen zeigt sich im Revier mal wieder der gewohnte Flickenteppich. Während in Essen die Zusammenarbeit der Einrichtungen mit den Ärzten fast reibungslos und sehr pragmatsich ist, hakt es beim „Boostern“ in Bottrop, Gladbeck und Dorsten doch ganz gewaltig. „Wir haben bei den Auffrischungsimpfungen auch wieder fast 80% der Menschen erreicht. Das trifft sowohl auf Bewohner als auch auf die Mitarbeitenden zu“, zieht Silke Gerling ein positives Zwischenfazit in Essen. Kerstin Schönlau kann da nur „ein bisschen neidisch“ zuhören, wie es in Essen läuft. „Wir haben uns als Träger bemüht, auf die Hausärzte einzuwirken, um an die guten Erfahrungen aus den Erst- und Zweitimpfungen anzuknüpfen. Das ist nur bedingt gelungen.“ In den drei Städten im Zuständigkeitsbereich der Diakone sind jetzt drei verschiedene Varianten der Impforganisation verabredet worden. Kerstin Schönlau hat aktuell keinen verlässlichen Status zur Impfquote. Geschätzt haben gerade einmal zwei von drei BewohnerInnen eine Boosterimpfung erhalten. Auch bei den Mitarbeitenden sieht sie noch deutlichen Nachholbedarf. „Das ist alles sehr unerfreulich, aber wir haben es auch so kommen sehen und müssen jetzt damit umgehen“, zieht sie leicht frustriert Zwischenbilanz.
Was ist jetzt anders als 2020? Wir können das!
Für Silke Gerling ist es an der Zeit, sich auf ein Leben mit dem Corona-Virus einzustellen. „Corona wird weiterhin ein Thema bleiben. Das ist für uns eine Herausforderung, aber wir entwickeln damit immer mehr einen professionellen Umgang. Wie bei anderen Viren übrigens auch.“ Für Kerstin Schönlau lautet die zentrale Botschaft: „Wir können das!“ Sie will den Fokus nicht so sehr auf Corona legen sondern auf Hygiene generell. „Wir haben inzwischen soviel Expertise über Hygiene wie noch nie. Das hilft uns nicht nur bei Corona sondern bei allen anderen Viren, die in unseren Einrichtungen eine Rolle spielen“, schließt Kerstin Schönlau das Gespräch mit einem eher optimistischen Ausblick auf die Zukunft.
Was in der Gesprächsrunde sonst noch zur Testpflicht, zu den Boosterimfungen und zur „Rückkehr zur Normalität“ gesagt worden ist, kann man auf Youtube und den gängigen Podcast-Plattformen nachhören.