Veröffentlicht am 27. Januar 2021 von RKP
Ihnen kann geholfen werden
Offener Brief an die Bundeskanzlerin
Betrifft: Ihnen kann geholfen werden.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
wie wir gestern aus den Medien erfahren haben, würden Sie gerne 14.000 Altenheime in Deutschland um Mithilfe bei der Corona Bekämpfung bitten.
Sie werden damit zitiert, dass es eine traurige Geschichte sei, man habe in den Altenheimen versucht, etwas zu machen.
Das ist ein Schlag ins Gesicht von Mitarbeiter*innen und Entscheidungsträger*innen in der Pflege, die seit 12 Monaten Alles dafür tun, um die Bewohner*innen und sich selbst sowie ihre Kolleg*innen vor der Bedrohung durch Covid-19 zu beschützen.
Seit 12 Monaten
- leben Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen mit der Angst vor einem Ausbruch in ihren Einrichtungen,
- achten Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen in ihrem Privat- und Berufsleben auf bestmögliche Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln,
- setzen Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen pausenlos ihre Energie und Fachlichkeit zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner ein,
- bekämpfen Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen Corona Ausbrüche gemeinsam im Team,
- beruhigen Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen besorgte Angehörige und sehen sich nicht selten wüsten Beschimpfungen und Unterstellungen ausgesetzt,
- verhindern Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen Einsamkeit und Isolation von Bewohner*innen durch Empathie, Mitgefühl und Professionalität.
Seit 12 Monaten
- müssen Entscheidungsträger in den Einrichtungen
- sich ständig wechselnden und oftmals widersprechenden Vorgaben und Verordnungen stellen,
- sich fortlaufend selber um die Beschaffung von Schutzartikeln kümmern,
- das Personal zum Durchhalten und Mitmachen motivieren,
- die Mittel beschaffen, um Screenings, Tests und Kontrollen der Verhaltensregeln sicherzustellen.
Ihnen kann geholfen werden.
Wir können Ihnen – Frau Bundeskanzlerin – helfen, wenn Sie uns endlich wirksame Unterstützung zukommen lassen. Dabei reden wir nicht von mehr Geld oder höheren Budgets. Wir reden davon, dass Politik und Verwaltung auf Bundes- und Landesebene endlich ALLES dafür tun, damit die Menschen in den Pflegeeinrichtungen, aber auch die älteren Bürger*innen in der eigenen Häuslichkeit wirksam geschützt werden.
Damit meinen wir
- die schnellstmögliche Beschaffung von Impfstoffen, die schnell und zuverlässig zu den Menschen kommen (und nicht umgekehrt),
- die zeitnahe Beschaffung und Bereitstellung von Personal, um endlich vor allen Einrichtungen Schnelltests durchzuführen und Angehörigen bei der Einhaltung der Verhaltensregeln zu „helfen“
- das Ende des Verordnungs- und Verfügungschaos, das nicht den Schutz der Menschen zum Ziel hat sondern ausschließlich die Verantwortung auf die Schultern der Träger und Einrichtungen delegiert.
Es ist in der Tat eine traurige Geschichte, dass Bund und Länder es bis heute nicht geschafft haben, für Bewohner*innen in den Pflegeeinrichtungen und für die alten Menschen zuhause den notwendigen Schutz zu gewährleisten. Machen Sie aber bitte nicht die Pflegedienste und -einrichtungen für diese „traurige Geschichte“ verantwortlich.
90 % der an- und mit COVID 19 verstorbenen Menschen waren über 70 Jahre alt. Fast die Hälfte aller COVID-Opfer in der zweiten Welle lebten zuvor in einer stationären Einrichtung. Es ist für uns nicht mehr nachzuvollziehen, warum trotz dieser Erkenntnisse (siehe RKI) nicht ALLE Ressourcen und Maßnahmen schon längst auf den Schutz dieser Menschen und ihrer Lebensumstände gebündelt worden sind.
Bis heute gibt es keine flächendeckenden Testangebote, keine Mobilitäts- und Einkaufskonzepte für Senior*innen, keine digitalen Unterstützungssysteme für Kontaktpflege und soziale Betreuung. Die Bereitstellung von Bundeswehr, Rettungsdiensten und Katastrophenschutz erfolgt viel zu spät und oftmals nur zeitlich eng begrenzt. Die Gewinnung von Freiwilligen und Klienten der Arbeitsagenturen läuft gerade erst an, ohne dass es hier eine systematische Abstimmung mit den Pflegediensten und -einrichtungen gegeben hätte.
Es ist zudem eine traurige Geschichte, dass hunderttausende mobilitätseingeschränkte und pflegebedürftige Menschen, die nicht im Pflegeheim wohnen, bis heute noch keine verlässliche Auskunft bekommen, wann sie eine Schutzimpfung erhalten.
Wir bekämpfen das Virus seit Ausbruch. Wir brauchen keine Aufmerksamkeitsalmosen. Wir brauchen echte Unterstützung und endlich den Willen zu wirksamen Maßnahmen. Wir laden Sie herzlich dazu ein, mit uns über die Situation in der Pflege zu diskutieren.
Gelsenkirchen, den 26.01.2021
Ulrich Christofczik (Vorstand im Ev. Christophoruswerk Duisburg)
Thomas Eisenreich (Vice President of Business Development von Home Instead)
Silke Gerling (Geschäftsbereichsleitung im Diakoniewerk Essen)