Veröffentlicht am 5. März 2023 von RKP
Rohrkrepierer statt Doppelwumms
Von einer Zeitenwende sind Pflege-Reformpläne der Bundesregierung meilenweit entfernt.
Gelsenkirchen, 06. März 2023: Für die Pflegearbeitgeber aus dem Ruhrgebiet haben die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zur Reform der Pflegeversicherung die Erwartungen voll erfüllt. Ulrich Christofczik, Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege: „Wir haben nichts erwartet und genau das bekommen: nämlich nichts!“ Seit letzter Woche liegt der Referentenentwurf zur Pflegereform auf dem Tisch. Die Kritik aus allen Lagern ist gewaltig. Thomas Eisenreich vom bundesweit agierenden Betreuungsdienstleister Home Instead bringt die Kritik aus Sicht der Ruhrgebietskonferenz-Pflege so auf den Punkt: „Mit den gerade bekannt gewordenen Plänen werden nur die Löcher gestopft, die von den Gesundheitspolitikern zu verantworten sind, die uns jetzt diese Reform als Lösung verkaufen wollen.“
Über die Zukunftssicherheit der Versorgung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen wird aktuell nicht ernsthaft diskutiert. Es geht fast ausschließlich um die Rettung der Pflegeversicherung durch Deckung von Finanzierungslücken und die „Zumutbarkeit“ von Beitragserhöhungen für die Kranken- und Pflegeversicherung.
Zeitenwende für die Pflege
Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege fordert eine Zeitwende für die Pflege. „Wir müssen uns ehrlich machen und mit den Menschen eine offene Debatte darüber führen, was uns die Pflege und Betreuung in Deutschland wirklich wert ist. Geld für Pflege ist kein Almosen. Allein die zahlenmäßige Zunahme von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen durch die demografische Entwicklung in unserem Lande macht die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln in Zukunft notwendig“, fasst Ulrich Christofczik zusammen. Als Vorstand des Christophoruswerkes und Geschäftsführer der Evangelischen Altenhilfe Duisburg hat er mit fast dreißig Jahren Berufserfahrung die Nase voll: „Wollen wir ernsthaft die Pflege und Betreuung zukunftsfähig machen, muss Schluss sein mit den kurzfristigen Reaktionen auf die immer wiederkehrenden Krisen im Gesundheits- und Pflegesystem. Die Bekämpfung dieser Krisen folgt immer dem gleichen Muster. Beitragserhöhungen, die mehr Geld in ein untaugliches System spülen, werden innerhalb kurzer Zeit aufgesogen Wir brauchen einen grundlegenden Systemwechsel.“
Systemwechsel ist notwendig
Die Vorschläge für einen solchen Systemwechsel liegen in den Schubladen der Ministerien, Verbände und wissenschaftlichen Institute. Aktuell arbeiten hinter den Kulissen zahlreiche kluge Köpfe an neuen und zukunftsfähigen Modellen, um den bereits vorhandenen Anregungen und Anstößen noch einmal neuen Schwung zu geben. Thomas Eisenreich, ebenfalls einer der Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege: „Wir halten die Einführung eines stundenbezogenen persönlichen Fachleistungsstundenbudgets zur Finanzierung und Gestaltung der individuellen Versorgung für eine gute Lösung. Dabei ist es dann letztendlich egal, wo die Versorgung stattfindet, ob ambulant, in der eigenen Häuslichkeit, in Wohngemeinschaften, in der Tagespflege bzw. der Betreuungsgruppe oder in Kurzzeit- bzw. Langzeitpflegeeinrichtungen. Im Rahmen dieses Budgets könnten die Betroffenen gemeinsam mit den Leistungserbringern die bestmöglichen Settings vereinbaren.“ Mit dieser „Lösung“ wird die leidige Versäulung des Versorgungssystems beseitigt. Das klingt nicht nur nach einer radikalen Reform, das wäre tatsächlich ein echter Systemwechsel, mit dem „care“ und „cure“ endlich als Einheit gesehen würden.
Strategien für eine alternde Gesellschaft
Das derzeitige System ist zu komplex und kompliziert für einfache und unkomplizierte Lösungen. Die Komplexität haben Politik und Selbstverwaltung über Jahrzehnte mit den halbherzigen Reformen selber geschaffen, die sie nun mit den oben beschriebenen Lösungsansätzen verändern könnten. Ein radikaler Systemwechsel ist erforderlich, der wird aber nicht ohne die Unternehmen und deren Beschäftigte sowie den anderen handelnden Akteuren in der Pflege gehen. Dafür braucht es Kooperationsbereitschaft und auch politischen Mut.
Wo bleibt die historische Kanzleransprache für die Pflege?
Vielerorts ist von Zeitenwende und gesellschaftlicher Resilienz die Rede. Davon spüren die stationären und ambulanten Anbieter von Pflege- und Betreuungsleistungen wenig. Ganz im Gegenteil. Angesichts von 100 Milliarden für Rüstung und Wehrhaftigkeit wird schon jetzt eine neue Genügsamkeit im Umgang mit sozialen und gesundheitsbezogenen Leistungen gepredigt. Für Roland Weigel, Koordinator der Ruhrgebietskonferenz-Pflege, zeichnet sich ein düsteres Szenario am Horizont ab: „Die Mangelverwaltung in der Pflege erreicht neue Dimensionen. Diese Pflegereform ist ein Rohrkrepierer. Wir hätten uns auch mal einen Doppelwumms und eine historische Kanzleransprache für die Pflege gewünscht.“