Veröffentlicht am 3. Juni 2024 von RKP
Ruhrgebietskonferenz-Pflege fordert Bundesminister Karl Lauterbach zum Rücktritt auf
Das „Tal der Ahnungslosen“ liegt neuerdings in Berlin-Mitte
Gelsenkirchen, 03. Juni 2024: Der Bundesminister für Gesundheit, Karl Lauterbach, hat am Wochenende in der Öffentlichkeit mit einer Meldung von der „explosionsartig“ gestiegenen Anzahl Pflegebedürftiger für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Jahr 2023 ist – laut BMG – die Zahl der pflegebedürftigen Menschen um 360.000 gestiegen. Jetzt sieht Minister Lauterbach ein „akutes“ Finanzierungsproblem in der Pflegeversicherung. Im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zeigt er sich überrascht und ratlos zugleich. Nach seiner Ansicht wäre eine Steigerung um 50.000 Betroffene zu erwarten gewesen. Gleichzeitig stellt er klar, dass eine – auch aus seiner Sicht – notwendige umfassende Reform der Pflegeversicherung in dieser Legislatur nicht mehr zu schaffen sei. Für den Sprecher der Ruhrgebietskonferenz Pflege, Ulrich Christofczik ist das „Vollversagen der Politik und des für die Pflege zuständigen Ministers.“ Für den Geschäftsführer der Evangelischen Dienste Duisburg muss die Erklärung vom Wochenende Folgen haben: „Ich fordere den Minister auf, dafür die politische Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten.“
Babyboomer nicht verantwortlich
Bei der Suche nach den Gründen für die „akute Problemlage“ stochert der Bundesminister im demografischen Nebel. „Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen, kommen die ersten Babyboomer, die jetzt pflegebedürftig werden“ lautet eine erste Erklärung. Dabei hat das BMG das Risiko ein Pflegefall zu werden zuletzt von Experten berechnen lassen. Das Ergebnis: Das Risiko ein Pflegefall zu werden liegt bei Menschen, die jünger als 60 Jahre sind bei 1,6 Prozent, bei den 60- bis 80-Jährigen bei 8,0 Prozent und bei den ab 80-Jährigen bei 39,9 Prozent. Für den Bremer Pflegeforscher Heinz Rothgang ist daher die Babyboomer-Hypothese nicht plausibel. Er hält es – wie er gegenüber RND erklärte – für denkbar, dass… „es einige Babyboomer gibt, die bereits pflegebedürftig sind. Eine relevante Größenordnung von Pflegedürftigen gibt es in dieser Altersgruppe aber nicht“. Außerdem zeigt er sich sichtlich überrascht über die vom Bundesminister zitierten Prognosen. Statt mit 50.000 zusätzlichen Pflegebedürftigen müsse – so Rothgang – mit einem Anstieg von 250.000 Menschen pro Jahr gerechnet werden.
Kostenexplosion kann nicht überraschen
Auch Thomas Eisenreich aus dem Management von Home-Instead und ebenfalls Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege wundert sich, dass das BMG jetzt überrascht feststellt, was verschiedenste Institutionen schon lange kommunizieren. Er wird konkret: „Bei rund 120.000 fehlenden Arbeitskräften in der Pflege kann jeder rechnen, was die Schließung dieser schon längst bekannten Bedarfslücke kosten würde. Nämlich 120.000 x 60.000 Euro, was in Summe überschlägig 7,2 Mrd. € pro Jahr bedeuten würde. Das kann ja nicht überraschend sein.“
Minister nimmt vorhandenes Wissen nicht ernst
Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege fordert schon seit langer Zeit eine grundlegende Reform des Pflegesystems. „Es ist wenig glaubwürdig, dass im Gesundheitsministerium diese aktuelle Entwicklung niemand vorhergesehen hat. Es macht den Eindruck, dass das „Tal der Ahnungslosen“ neuerdings in Berlin-Mitte liegt. Scheinbar nimmt der Minister vorhandenes Wissen aus seinem Ministerium nicht ernst“, ist Roland Weigel, Koordinator der Arbeitgeberinitiative, fassungslos.
Arbeitgeber stehen zur Verfügung
Heinz Rothgang äußert den Verdacht, dass die Bundesregierung die Kosten für die gesetzliche Begrenzung der Eigenanteile für die Pflegeheime deutlich unterschätzt hat und jetzt so überrascht tut, „um von der Fehleinschätzung abzulenken“. Für Ulrich Christofczik spielt das alles keine Rolle. Für ihn ist klar: „Wir müssen umgehend in eine erstzunehmende Diskussion über eine umfassende Reform der Pflegeversicherung eintreten. Die Arbeitgeber aus der Pflege stehen dafür jederzeit zur Verfügung. Das Hinauszögern von dringend notwendigen Reformen steigert die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung und spielt populistischen Strömungen in die Karten. Wenn aktuell verantwortliche Politiker nicht den Willen oder die Durchsetzungskraft für grundlegende Veränderungen haben, müssen sie halt zurücktreten. Glückauf Herr Minister!“