Veröffentlicht am 27. November 2020 von RKP

„Wo bleibt denn da der Grundsatz ambulant vor stationär?“

In einem bereits mehrfach überarbeiteten Eckpunktepapier aus dem Bundesministerium für Gesundheit sind jetzt Reformpläne für die Umgestaltung der ambulanten Pflege bekannt geworden. Für Thomas Eisenreich, Sprecher der Ruhrgebietskonferenz Pflege und im Management von Home Instead beschäftigt, steckt in den Plänen jede Menge Zündstoff.

Im Tacheles-Vodcast der Ruhrgebietskonferenz-Pflege zieht Thomas Eisenreich ein sehr kritisches Zwischenfazit der Reformbestrebungen aus dem Haus von Jens Spahn: „Wo bleibt denn da der Grundsatz ambulant vor stationär?“ Die Idee von der Entlastung der Pflegebedürftigen und einer besseren Ausstattung der Pflegeeinrichtungen lässt sich in dem Eckpunktepapier aus dem BMG nicht wiederfinden. Zumindest nicht für die ambulante Versorgung.

Dynamisierung führt zur Mehrbelastung der zu Pflegenden

Da ist beispielsweise die vorgesehene jährliche Dynamisierung der Pflegesachleistungen zu nennen. Diese wird seit Jahren von den Unternehmen gefordert. Was jetzt geplant ist, wird die ambulante Pflege massiv einschränken. Die geplante Kopplung der Dynamisierung an die Inflationsrate geht an der betrieblichen Realität vorbei. Thomas Eisenreich lässt Zahlen sprechen: „Während in den letzten fünf Jahren die Inflationsrate zwischen 0,5 und 1,8 % pro Jahr gestiegen ist, sind die Gehälter jährlich um bis zu 5 % angehoben worden, was ja auch sehr zu begrüßen ist. Mit Blick auf die schon vereinbarten Steigerungen des Pflegemindestlohns und der Tarifverträge in der Pflege wird die Inflationsrate auch zukünftig weiterhin unterhalb der Lohnkostenentwicklung liegen.“ Die Kopplung der Dynamisierung an die Inflationsrate wird daher absehbar zu einer Mehrbelastung der pflegebedürftigen Personen oder einer Leistungsbeschränkung führen. Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege schlägt alternativ einen Pflegekostenindex vor, der vom Bundesamt für Statistik geführt wird und der als Dynamisierungsmaßstab die echte Kostenentwicklung in der Altenpflege abbildet.

Entlastungsbudget muss komplett für ambulante Pflege nutzbar sein

Ein weiterer Aspekt, den Thomas Eisenreich als „Fehlentwicklung“ sieht, ist die geplante Begrenzung für stundenweise Verhinderungspflege auf 40%. Gegenüber der heutigen Praxis bedeutet die vorgeschlagene Regelung eine Reduzierung des ambulant nutzbaren Leistungsanspruchs um 45 %. Gerade die stundenweise Entlastung ist für neun von zehn der pflegenden Angehörigen aber eine wichtige Regelung, ihren Tag gestalten zu können: für die notwendigen Einkäufe, eigene Arztbesuche, Berufstätigkeit oder die übrige Familie. Thomas Eisenreich: „Bei demenzerkrankten Personen sind für die Angehörigen diese regelmäßigen Entlastungen bitter nötig, da im Pflegealltag keine „normalen“ Ruhezeiten stattfinden. Ohne diese wird deren Gesundheit gefährdet, was zu steigenden Folgekosten führt.“ Die daraus resultierende Forderung ist klar: „Das Entlastungsbudget muss komplett für die ambulante Pflege nutzbar gemacht werden.“

Der Mindestlohn wird ausgehebelt

In Zukunft soll das Pflegesachleistungsbudget auch für die Bezahlung von 24-Stunden-Betreuungskräften, die zumeist aus osteuropäischen Ländern kommen, eingesetzt werden können. Für Thomas Eisenreich ein Unding. „Was gerade in der Fleischindustrie verboten werden soll, wird hier im großen Stil ermöglicht. Hier wird der gesetzliche Mindestlohn – ganz zu schweigen vom Pflegemindestlohn – systematisch ausgehebelt.“ Für die Ruhrgebietskonferenz-Pflege darf eine Reform nicht dazu beitragen, dass Lohn- und Sozialdumping aus den Mitteln der Pflegeversicherung finanziert wird.

Fehlerhafte Weichenstellungen öffentlich diskutieren

Dieser Tacheles-Vodcast ist der Auftakt zu einer Reihe von Aktivitäten der Ruhrgebietskonferenz-Pflege, mit denen wir auf die fehlerhaften Weichstellungen der aktuell diskutierten Reformvorhaben der Bundesregierung hinweisen wollen. Wir freuen uns über konkretes Feedback auf unsere Beiträge und laden herzlich zur Kommentierung auf unseren Internet- und Social-Media Kanälen ein.

Gesundheitsminister Jens Spahn hat zu diesem Themenfeld bereits das Angebot erhalten, sich per Videokonferenz auszutauschen.

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