Veröffentlicht am 17. August 2023 von RKP
„Krankenhausreform wird ohne die häusliche Pflege scheitern!“
Ruhrgebietskonferenz fordert die Einbeziehung der Langzeitpflege in die Reformpläne der Bundes- und Landesregierung
Gelsenkirchen, 17. August 2023: Die vieldiskutierte Krankenhausreform steht vor der Tür. Sie soll dazu beitragen, dass Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland besser werden. Politik, Kostenträger und Krankenhausbetreiber setzen auf eine stärkere Vernetzung der medizinischen Einrichtungen, eine bessere Ressourcenallokation sowie den Einsatz von digitalen Gesundheitsdiensten. Mit der Reform sollen Prävention und ambulante Versorgung vor Ort gestärkt werden. Aber genau hier sieht die Ruhrgebietskonferenz-Pflege aktuell die größten Versäumnisse, die zu einem Scheitern der Krankenhausreform führen könnten.
„Die ambulante pflegerische Versorgung ist konzeptionell und strukturell nicht auf den steigenden Bedarf an Versorgung und Spezialisierungen vorbereitet“, beschreibt Christian Westermann vom Pflegedienst „Engel vonne Ruhr“ aus Mülheim die Ausgangslage. Es fehlt – wie nahezu überall – an Fachkräften für die pflegerisch anspruchsvollen Aufgaben, die nach einem Krankenhausaufenthalt oder einem ambulanten Eingriff zu bewältigen sind. Außerdem ist eine angemessene finanzielle Vergütung für spezialisierte Pflegekräfte und -Dienste nicht in Sicht. Christian Westermann stellt klar: „Es geht hierbei ausdrücklich nicht um einen Mehrverdienst sondern ganz klar um eine gerechte Bezahlung für aufwendigen Therapie- und Pflegeformen.“
Mehr Spezialist*innen gefordert
Das Beispiel der Wundversorgung zeigt die ganze Brisanz dieser Entwicklung. Bei einfachen Schnittwunden hilft ein Pflaster – bei chronischen, schlecht heilenden Wunden ist das anders. Chronische Wunden als Symptom zahlreicher Krankheiten betreffen in Deutschland aktuell ca. 2,7 Millionen Menschen. Hier ist eine professionelle Wundversorgung gefragt, die in die Hände von Spezialist*innen gehört.
Versorgung bleibt an der ambulanten Pflege hängen
Die Realität ist, dass viele Menschen weiterhin allein zuhause mit ihren chronischen Wunden kämpfen, nicht in der Lage, Wundambulanzen aufzusuchen. Sie isolieren sich, weil unansehnliche Wunden oder nässende Verbände beschämend sind. Die Krankenhäuser und Arztpraxen weisen die Patienten nur einmalig in die eigene Wundversorgung ein und schicken sie nicht selten aus Zeitmangel mit Verbandmaterial nachhause.
Meist bleibt es an den Pflegediensten hängen, die Menschen ambulant versorgen, beim Essen oder Anziehen helfen und dabei unter Zeitdruck die Wunden mitversorgen. Durch ein schnelles „Mitversorgen“ wird eine Wunde weder adäquat versorgt, noch abheilen. Wunden professionell zu reinigen und zu verbinden, braucht Knowhow und Zeit.
Ambulante Spezialversorgung gegen teure Langezeitfolgen
Eine effektive und geplante Wundversorgung ist der Schlüssel zur Vermeidung von Infektionen, zur Beschleunigung der Genesung und zur Minimierung von schlimmen und teuren Langzeitfolgen.
Obwohl die Anforderungen an die Qualität des Personals und der Professionalität der handelnden Akteure in einer HKP-Richtlinie festgeschrieben sind, fehlt es an einer damit verbundenen Vergütungsvereinbarung. Rund 1.500 Euro kostet die Zusatzqualifikation zum Wundexperten, knapp 4.000 Euro die zum Fachtherapeuten. Christian Westermann hat sie für seine Angestellten bezahlt, und sie für die Dauer der mehrtägigen Weiterbildungen freigestellt. „Meinen Part habe ich erledigt“, sagt er. „Jetzt sind die Kostenträger und die Politiker dran.“
„Im Moment zahlen wir drauf!“
Er kritisiert, dass die professionelle Wundversorgung nach wie vor von den Kassen wie reguläre Pflegeleistungen vergütet werden. „Qualität und sinnvolle Spezialisierung hat ihren Preis, und im Moment zahlen wir nur drauf.“ So wird in Zukunft kaum ein Pflegedienst die Wundversorgung übernehmen können, geschweige denn Personen freiwillig zu Experten fortbilden – mit der Folge, dass mehr und mehr Patienten abgelehnt werden. Die Unterversorgung spitzt sich zu und der Mangel wird zur Routine. Erst recht, wenn durch die Krankenhausreform die Versorgung verstärkt in der Häuslichkeit der Betroffenen stattfinden soll.
Schon heute unsichtbare Warteschlangen
Aktuell fehlt es vor allem an Kommunikation und Kooperation. „Wenn die Krankenhausreform gelingen soll, brauchen wir viel mehr interdisziplinäre und bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Das fängt schon bei der Beteiligung der Pflegedienste bei der Planung zur Ausgestaltung der Reform an und sollte Routine in der Versorgungsplanung vor Ort in den Kommunen sein. Die Krankenhausreform wird ohne die Einbeziehung der häuslichen Pflege und der Träger der Langzeitpflege scheitern“, zieht Roland Weigel, Koordinator der Ruhrgebietskonferenz-Pflege die Quintessenz aus dem Beispiel der Wundversorgung. Roland Weigel weiter: „Wir haben schon heute unsichtbare Warteschlangen vor den ambulanten Pflegediensten. Die häusliche Versorgung wird vollends zusammenbrechen, wenn nicht rechtzeitig Konzepte zur Stärkung der ambulanten Spezialversorgung entwickelt und ausreichend finanzielle Mittel dafür bereitgestellt werden.“ Für die Ruhrgebietskonferenz-Pflege sind die Versäumnisse bei der Einbindung der Spezialpflege in die Krankenhausreform symptomatisch für die geringe Wertschätzung gegenüber der Professionalität und Leistungsfähigkeit der Langzeitpflege.
Folgende Maßnahmen liegen für die Ruhrgebietskonferenz-Pflege auf der Hand, die zeitnah ergriffen werden sollten:
- Akzeptanz von bereits vorliegenden Versorgungsrichtlinien und frühzeitige diagnostische Ursachenabklärung.
- Erhöhung der finanziellen Mittel für die ambulante Spezialversorgung, um eine angepasste Kostenübernahme für die zeitaufwendige Versorgung zu gewährleisten, inklusive Zugriff auf moderne Versorgungstechniken und digitale Lösungen.
- Schnellere, deutschlandweite Spezialisierung und Schulung von Pflegekräften in der Spezialversorgung (insbesondere Wunden). Es ist wichtig, dass das Personal über spezialisiertes Fachwissen und die Fähigkeiten verfügt, um qualitativ hochwertig zu versorgen.
- Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen, um einen reibungslosen Informationsaustausch und eine koordinierte Versorgung der Patienten sicherzustellen. Ein hierzu notwendiger, regionaler Netzwerkaufbau sollte auch regional gefördert und mitfinanziert werden.
- Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema ambulante Nachsorge, um frühzeitiges Handeln bspw. bei Wunden zu fördern und Komplikationen zu vermeiden. Eine Verbesserung der sogenannten Gesundheitskompetenz der Menschen MUSS bundesweit zum Beispiel über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erfolgen. Ein Papier hierzu besteht seit langem, schlummert aber in den Schubladen.
- Einführung von Qualitätskontrollen und -standards für die Spezialversorgung, um eine hohe Behandlungsqualität zu gewährleisten. Beispielhaft wäre ein bundesweites Wundregister, um ein Benchmark aufzubauen und die Effekte der Spezialisierung und der Strukturverbesserungen messbar zu machen!
- Etablierung von mehr interdisziplinären Wundzentren, in denen Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten zusammenarbeiten, um eine ganzheitliche Betreuung der Patienten zu gewährleisten.
- Weiterentwicklung und Implementierung von bestehenden Leitlinien zur Spezialversorgung in der ambulanten Pflege und Betreuung, um eine einheitliche Vorgehensweise zu gewährleisten und den aktuellen Stand der Forschung zu berücksichtigen.
Der Ambulante Mülheimer Pflegedienst „Engel vonne Ruhr“ gilt aktuell als Vorreiter für umsetzbare Lösungen, braucht jedoch dringend Mitstreiter und Klärung der Kosten. Geschäftsführer Christian Westermann har ein deutschlandweites Netzwerk von weiteren, engagierten Pflegediensten und Fachleuten gegründet, die „Bundesarbeitsgemeinschaft spezialisierter Leistungserbringer Wunde“ (BAG-Wunde), um die Öffentlichkeit und Politik aufmerksam zu machen.
Seit Februar sind die Mülheimer „Engel vonne Ruhr“ mit dem ICW-Wundsiegel als spezialisierter ambulanter Pflegedienst zertifiziert. Sehr viel früher schon hat Geschäftsführer Christian Westermann begonnen, sich für eine bessere Versorgung Betroffener stark zu machen.