Veröffentlicht am 11. April 2025 von RKP

„Wenn ich nicht mehr weiterweiß, bilde ich einen Arbeitskreis.“

Koalitionsvertrag der Bundesregierung: Pflegereform wird erneut auf die lange Bank geschoben

Gelsenkirchen, 11. April 2025: Bei den Arbeitgebern aus der Pflege herrscht Ernüchterung nach der Vorlage des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung. Zentrale Reformthemen sollen zunächst in einer hochrangig besetzten Kommission geprüft werden. Für Ulrich Christofczik, Geschäftsführer der Evangelischen Dienste Duisburg und Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege, ist das ein altbekanntes Muster: „Wenn ich nicht mehr weiterweiß, bilde ich einen Arbeitskreis.“ Trotz einiger positiver Ansätze fehle es dem Koalitionsvertrag an Mut, Verbindlichkeit und konkreten Maßnahmen. „Papier ist geduldig. Wir sind es nicht!“ bringt Christofczik die Frustration vieler Akteure auf den Punkt.

Bürokratieabbau: Hoffnungsschimmer mit Substanz
Erfreulich ist aus Sicht der Arbeitgeber die klare Ankündigung, bürokratische Hürden im Gesundheitswesen abzubauen. „Dass der Bürokratieabbau nicht nur erwähnt, sondern mit konkreten Maßnahmen unterlegt ist, stimmt uns zuversichtlich“, betont Roland Weigel, Koordinator der Ruhrgebietskonferenz-Pflege. Viele Vorschläge aus der Praxis liegen bereits seit Jahren in den Schubladen der Ministerien. Christian Westermann vom ambulanten Pflegedienst „Engel vonne Ruhr“ sichert der Politik Unterstützung zu: „Wir bringen uns gern aktiv in die Ausgestaltung ein.“ Am 9. Mai 2025 lädt die Ruhrgebietskonferenz-Pflege daher zu einem digitalen „Entbürokratisierungsgipfel“, bei dem konkrete Vorschläge gesammelt werden sollen.

Modellprojekte müssen in die Regelversorgung
Positiv ist auch, dass erfolgreiche Modellprojekte künftig in die Regelversorgung überführt werden sollen. Dies betrifft hoffentlich nicht nur das bekannte Stambulanz-Projekt, sondern auch viele andere innovative Vorhaben, deren Ergebnisse bislang unbeachtet blieben. Zusammen mit der erkennbaren Absicht, mehr sektorenübergreifende Versorgungsformen zuzulassen, stimmt das zumindest die Akteure hoffnungsfroh, die seit Jahren in Modellprojekten für neue Versorgungsformen eintreten.

Digitalisierung: Endlich konsequent gedacht?
Ein weiteres ermutigendes Signal ist das Bekenntnis zur Digitalisierung. Der Investitionsbedarf – insbesondere in der Krankenhaus- und Pflegeinfrastruktur – ist immens. Gelingen hier digitale Arztvisiten oder interdisziplinäre Fallbesprechungen, kann das die Zusammenarbeit zwischen Medizin und Pflege nachhaltig verbessern.

Ein Zeitplan fehlt – und damit die Verbindlichkeit
Zentraler Bestandteil des Koalitionsvertrags ist die Einrichtung einer Bund-Länder-Kommission unter Einbeziehung der kommunalen Spitzenverbände. Diese soll bis Ende 2025 die Grundlagen für eine umfassende Pflegereform erarbeiten. Für Thomas Eisenreich vom Betreuungsdienstleister Home Instead ist dies angesichts der Komplexität nachvollziehbar: „Der Zeitrahmen kann ein Schritt sein, um dringend nötige Reformen nicht weiter aufzuschieben.“ Andere hingegen kritisieren das Verfahren als Verschiebung auf unbestimmte Zeit. Ulrich Christofczik warnt: „Eine Kommission mit Prüfauftrag ersetzt keine Reform. Es fehlt ein klarer Zeitplan, wie mit den Ergebnissen konkret weitergearbeitet wird.“ Was die Arbeitgeber aus der Pflege auch skeptisch macht, ist ein Blick in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vom 19.11.2021. Da stand nämlich zu lesen: „Bis 2023 wird eine Expertenkommission entsprechende Vorschläge zur Reform der Pflegeversicherung erarbeiten.“ Na dann….

Finanzielle Entlastung? Fehlanzeige.
Für Unverständnis sorgt auch, dass zentrale Vorschläge aus dem Sondierungspapier – etwa zur Rückführung der Mittel aus dem Corona-Ausgleichsfonds – nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurden. Die Vorschläge in ihrer Gesamtheit hätten den Kostenträgern jährlich rund 15 Milliarden Euro an Entlastung gebracht. Stattdessen sollen jetzt versicherungsfremde Leistungen wie Rentenbeiträge für pflegende Angehörige lediglich geprüft werden. Das ist für viele ein fatales Signal – dringend benötigte finanzielle Entlastung wird damit weiter aufgeschoben. Christian Westermann: „Auch wenn die Kommission umsetzbare Ideen vorbringt, wird das nicht vor 2027 sein. Dann hätten wir zum Ende der Legislatur möglicherweise Gesetze, die dann irgendwann in der 30ern ihre Wirkung entfalten könnten. Bis dahin ist die Pflegeversicherung und ein Großteil der handelnden Akteure pleite.“

Leerstelle Fachkräftemangel
Der Vertrag bleibt auch bei der zentralen Herausforderung der Pflege, dem Arbeits- und Fachkräftemangel, vage. Es fehlen konkrete Maßnahmen zur Arbeits- und Fachkräftegewinnung für die Pflege. Es sollen zwar grundsätzlich bürokratische Hürden abgebaut werden, aber eine Strategie und damit verbundene Maßnahmen zur gezielten Unterstützung von Pflegearbeitgebern bei der Integration fehlen. Es wird mal wieder– wie schon in der Vergangenheit – auf dysfunktionale zentrale Plattformen gesetzt. So wird Migration und Integration für die Pflege nicht gelingen.

Ambulante Pflege: Zwischen Hoffnung und Unklarheit
Für die ambulante Pflege zeichnen sich Chancen ab: Eine bessere Vernetzung mit stationären Einrichtungen könnte Versorgungslücken schließen – insbesondere bei komplexen Pflegebedarfen. Auch die rechtliche Absicherung des „kleinen Versorgungsvertrags“ wird begrüßt. Gleichzeitig bleiben zentrale Fragen zur Finanzierung offen. Unklar ist, ob die skizzierten Strukturveränderungen tatsächlich umsetzbar sind oder zu Einsparungen im ambulanten Bereich führen. Eine übermäßige Zentralisierung könnte zudem regionale Versorgungsstrukturen gefährden.

Pflegende Angehörige: Kaum beachtet, kaum entlastet
Die Stärkung pflegender Angehöriger findet kaum Eingang in den Koalitionsvertrag. Dabei leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag zur Versorgung – oft am Rande der Belastbarkeit. Eine zukunftsfähige Pflegepolitik muss ihre Unterstützung strukturell verankern und die Zusammenarbeit mit professionellen Diensten gezielt fördern.

Fazit: Eine vertane Chance
Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege sieht im Koalitionsvertrag eine vertane Chance für die Pflegepolitik. Ulrich Christofczik bringt es auf den Punkt: „Was uns aus Berlin vorgelegt wurde, ist eine Sammlung wohlklingender Absichtserklärungen – aber kein realistischer Plan. Was wir brauchen, sind keine weiteren Kommissionen, sondern mutige politische Entscheidungen. Papier ist geduldig. Wir nicht!“
Auch Thomas Eisenreich bekräftigt: „Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege wird sich weiterhin mit praxisnahen Vorschlägen auf allen Ebenen in den Reformprozess einbringen – kommunal, landesweit und im Bund. Wir bleiben dran!“

Foto von Pixabay: www.pexels.com