Veröffentlicht am 28. November 2024 von RKP
Ruhrgebietskonferenz-Pflege sagt zum Abschied leise: „Vielen Dank für nix!“
Minister Lauterbach ging es nur ums Geld und nicht ums Gestalten
Gelsenkirchen, 28. November 2024: Die Ampelkoalition ist am Ende und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kommt scheinbar mit einem blauen Auge davon. Auf der Zielgeraden hat die Bundesregierung noch die Krankenhausreform durchgeboxt und der Bundesgesundheitsminister sonnt sich im Erfolg seiner politischen Durchsetzungskraft. Da schaut keiner mehr genau hin, was vor der Ziellinie alles auf der Strecke geblieben ist.
Nachdem Bundesminister Lauterbach Mitte des Jahres ein „akutes Finanzierungsproblem“ entdeckt und das auf die „explosionsartig“ gestiegene Anzahl Pflegebedürftiger zurückgeführt hatte, ist die Berliner Problemlösungsmaschine in Gang gesetzt worden. Das Ergebnis: Steigende Beiträge und Reformankündigungen für den „Sankt Nimmerleinstag“.
Dabei wird die Liste der offenen Posten und ungeklärten Fragen immer länger. Mit dem Pflegekompetenzgesetz, dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz und dem Gesetz zur Reform der Notfallversorgung sind allein drei vollmundig angekündigte Reformvorhaben ins politische Wartezimmer gesetzt worden. Zumindest das Pflegekompetenzgesetz wäre wohl auch nur mal wieder ein Beitrag zur Verschlimmbesserung des ohnehin schon undurchschaubaren Pflegesystems geworden. Die Enttäuschung der Notfallversorger und der Initiatoren von regionalen Gesundheitsnetzwerken hingegen ist riesig. Da ist das Ergebnis langjähriger Diskursarbeit und politischer Einflussnahme an einem Mittwochabend auf die ganz lange Bank geschoben worden.
In Sachen Pflege hat die Ampelkoalition auf ganzer Linie versagt und sich der Vielzahl von Reformvorschlägen mit Ankündigungen und Scheinangeboten entzogen. Diese Bundesregierung war vermutlich die letzte, die dem aufziehenden demografischen Wandel mit seinen sozialen Folgen noch mit einer grundlegenden Reform hätte entgegenwirken können. Es scheint absehbar, dass zukünftige Vorschläge im Stimmungswandel der gerade ausgerufenen „Zeitenwende“ noch weniger Gehör finden werden. Minister Lauterbach ging es während der jetzt endenden Legislaturperiode nur ums Geld und nicht ums Gestalten. Dabei wäre die Corona-Pandemie ein geeigneter Weckruf gewesen, um endlich eine grundlegende Reform des Ordnungs- und Leistungsrechts rund um die Pflege anzugehen. Stattdessen wurden Finanzierungslöcher gestopft und Vertröstungskongresse abgehalten.
Keines der akuten Probleme wurde in dieser Legislaturperiode ernsthaft angegangen. Es fehlt nach wie vor an einer Digitalisierungsstrategie, der versprochenen Bürokratieabbau ist mal wieder ausgeblieben und die vielbeschworene Aufwertung der Pflege steckt in überkomplexen und trotzdem enttäuschenden Gesetzentwürfen. Die Pflege ist und bleibt ein Dschungel von Gesetzen und ein Flickenteppich von sich zum Teil widersprechenden Vorschriften.
Der allseits bekannte Arbeits- und Fachkräftemangel wird beklagt, aber auch hier versumpft das Land in der Analyse ohne ins Handeln zu kommen. Die Zahlen sind lange bekannt und Modellprojekte haben mögliche Lösungswege aufgezeigt. Stattdessen gibt es Stillstand und kollektives Schulterzucken. Eine systematische Öffnung der Schulen für die Gesundheits- und Pflegeberufe sowie eine wirksame Integrationsoffensive für ausländische Arbeitskräfte für die Pflege sind bislang ausgeblieben.
Die Kostenexplosion der Eigenanteile der stationären Pflege und der Zuzahlungen in der ambulanten Versorgung wurden in Sonntagsreden vor den Betroffenen bedauert. Gegenmaßnahmen? Fehlanzeige! Die Mehrkosten werden stillschweigend bei den Pflegebedürftigen und den Kommunen abgelegt. Das Ende dieser Abwälzungsstrategie ist noch lange nicht absehbar. Immer noch steigen die Personal- und Sachkosten als Ergebnis bundespolitischer Entscheidungen. Mittlerweile zählen Pflegekräfte zu den Gutverdienenden im Lande und fast nirgendwo werden Auszubildende besser bezahlt als in der Pflege. Um nicht missverstanden zu werden: Das ist gut so! Die Zeche zahlen aber ausschließlich die unmittelbar Betroffenen und wenn diese an die Grenzen ihrer Belastbarkeit (also ihres Einkommens und Vermögens) stoßen, müssen klamme Kommunen in die Bresche springen, denen sowieso schon das Wasser (der Schuldenstand und/oder die wegbrechenden Steuereinnahmen) bis zum Hals steht.
Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege fordert schon seit langer Zeit eine grundlegende Reform des Pflegesystems und wir werden das auch in Zukunft tun. Der Ankündigungsriese Karl Lauterbach hat sich in Sachen Pflege in den letzten dreieinhalb Jahren als Umsetzungszwerg erwiesen. Vollmundig angekündigte „Reformen“, „Stärkungen“ und „Verbesserungen“ sind vermeintlich dem Koalitionsbruch zum Opfer gefallen. Schuld an der Misere ist natürlich der lästige Liberale Lindner. Lauterbach stilisiert sich als Opfer. Das lässt dann eigentlich nur einen Schluss zu. Das Politikversagen der letzten Jahre in Sachen Pflege ist nicht böswillig herbeigeführt, sondern Ausdruck von Unfähigkeit und politischen Ränkespielen. Oder wie es ein renommierter Wissenschaftler und Netzwerker vor kurzem in einer unserer Veranstaltungen ausgedrückt hat: „Staatsversagen durch Governance-Impotenz und Bürokratie-Sociosclerose.“
Der aktuell zuständige Minister hatte nicht den Willen, die Durchsetzungskraft und wohl auch nicht die Kompetenz für grundlegende Veränderungen in der Pflege. Unterm Strich sagen wir deshalb zum Abschied leise: „Vielen Dank für nix!“ Jetzt müssen es halt andere richten. Glückauf
Im Namen des Sprecher- und Koordinationskreises der Ruhrgebietskonferenz-Pflege
Ulrich Christofczik (Geschäftsführung der Evangelischen Dienste Duisburg und Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege)
Roland Weigel (Koordinator für Organisation und Kommunikation der Ruhrgebietskonferenz-Pflege)