Veröffentlicht am 4. Mai 2020 von Redaktion
„Unsere Aufgabe ist es, kritische Punkte anzusprechen“
ARD-Intendant Tom Buhrow antwortet auf "Offenen Brief" der Ruhrgebietskonferenz Pflege - Einladung zur Weiterführung des Dialogs im "Talk am Förderturm"
Am 3. April formulierten die Gesellschafter der Ruhrgebietskonferenz Pflege unter dem Titel “ARD denunziert die Altenpflege” einen “Offenen Brief” an den ARD-Intendanten Tom Buhrow. Jetzt erreichte uns von Herrn Buhrow darauf eine Antwort. Diese Antwort möchten wir Ihnen nicht vorenthalten:
PDF Download: ARD-Intendant Tom Buhrow antwortet auf unseren „Offenen Brief“
Sehr geehrte Frau Gerling, sehr geehrter Herr Christofczik, sehr geehrter Herr Weigel,
vielen Dank für Ihren Offenen Brief. In solch schwierigen Zeiten ist der Dialog untereinander besonders wichtig, daher entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen erst jetzt antworte.
Auch wir sehen, wie wichtig Solidarität und die Übernahme von sozialer Verantwortung in diesen Zeiten ist. Die soziale Isolation, die wir derzeit erleben, stellt eine große psychische und soziale Herausforderung für uns alle dar. Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk sind wir uns dieser besonderen Aufgabe in dieser Zeit absolut bewusst. Unser Programm liefert den Menschen Nachrichten und Hintergrundinformationen, es gibt ihnen aber auch Halt und Orientierung.
Daher lese ich mit Bedauern, dass Sie die Berichterstattung im Ersten Deutschen Fernsehen über die Auswirkungen der Corona-Krise in den Einrichtungen der Altenpflege in Deutschland als „unverantwortlich“ und „skandalisierend“ empfinden und wir zudem „Panikmache“ betrieben.
Unser journalistisches Ziel ist es nicht, eine so wichtige Branche wie die Pflegebranche unter „Generalverdacht“ zu stellen und zu diskreditieren. Wir sehen es vielmehr als unsere Aufgabe kritisch und differenziert über Fakten zu berichten und uns auch ggf. mit Missständen auseinanderzusetzen.
Im Rahmen der Berichterstattung im Ersten Deutschen Fernsehen im Zusammenhang mit der Corona-Berichterstattung führen wir Interviews auf
unterschiedlichsten politischen Ebenen, widmen ganze hart aber fair Sendungen dem Thema Pflege, zeigen Pflegekräfte als systemrelevante Berufe – in Talkshows, Kommentaren, Magazinen, Regelsendungen.
Sie kritisieren in Ihrem Text unter der Überschrift „Skandale statt Information: ARD denunziert Altenpflege“, dass ein Interview mit Ihnen, lieber Herr Christofczik, mit dem ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ in der Sendung vom 24. März 2020 unzureichend wiedergegeben worden sei. Insbesondere sei die Aussage, ,,dass die Pflege gut aufgestellt sei“ und „die Corona-Herausforderungen meistern werde, wenn die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen wie z.B. Schutzkleidung und Desinfektionsmittel zuverlässig liefere“ im Film nicht aufgegriffen worden. Diese Aussage sei nur in einer Pressemitteilung der Redaktion vorgekommen.
Hierzu nehme ich nach Rücksprache mit der REPORT MAINZ-Redaktion wie folgt Stellung:
Im REPORT MAINZ-Beitrag zum Thema „Pflege in Zeiten von Corona“ hat sich die Redaktion mit den für Pflegeheime und ambulante Pflegedienste dringend benötigten Schutzmitteln wie Mundschutze oder Desinfektionsmittel beschäftigt. Die Berichterstattung basierte auf den Ergebnissen einer nicht repräsentativen Umfrage zu diesem Thema unter Mitgliedern des Bundesverbands Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad e.V.). Wie im Filmbeitrag berichtet, gaben 263 Teilnehmer der Umfrage an, dass ihnen Schutzmittel wie Mundschutze, Handschuhe oder Desinfektionsmittel in den nächsten Tagen ausgehen werden. Fast alle der 372 Umfrageteilnehmer berichteten von großen Problemen, Nachschub zu beschaffen.
Ziel der Umfrage war es, herauszufinden, wie lange Schutzmaterial und Desinfektionsmittel in Pflegeeinrichtungen des Verbandes bad e.V. noch vorhanden sind. Im Interview mit REPORT MAINZ ging Ulrich Christofczik darauf ein, welche Konsequenzen der fehlende Nachschub von Schutzmaterial für Pflegeheime haben könnte. In diesem Zusammenhang sprach er von einem möglichen „Supergau“. Für einen sechsminütigen Magazinbeitrag war es daher nicht entscheidend, darüber zu spekulieren, ob die Pflegebranche gut aufgestellt ist, wenn die Politik Schutzmittel und Desinfektionsmittel zuverlässig liefert. Es ging um die Darstellung einer zu dieser Zeit bedrohlichen Situation. Bei der Pressemitteilung von REPORT MAINZ, die bundesweit verschickt wurde, wurde ausführlich die Gesamtsituation geschildert.
Deshalb wurde dieser Hinweis dort auch aufgegriffen, wie Sie selbst bemerkt haben. Daraus wird deutlich, dass es nie Absicht der Redaktion war, diese Aussage zu unterschlagen.
In der Sendung Anne Will am 5. April 2020 wollte die Redaktion angesichts der Corona-Krise die Situation in Pflege- und Altenheimen sowie die Arbeitsbedingungen für Menschen in Pflegeberufen thematisieren. Wie stets wurde in der Woche vor der Sendung eine große Zahl von Recherche-Telefonaten geführt. Ein solches Recherche Gespräch dient der Sammlung von Informationen und zieht nicht notwendigerweise eine Einladung nach sich. Das ist übliche journalistische Praxis und keineswegs mit der Einschätzung verbunden, dass „gute Nachrichten uninteressant“ seien, wie Sie in Ihrem Schreiben vermuten. Am Ende geht es darum, eine Gesprächsrunde zusammenzustellen, die geeignet ist, mit dem Thema zusammenhängende Fragen kompetent und umfassend zu beantworten. Daher hat sich die Redaktion gefreut, in der Sendung am 5. April 2020 Christei Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, als Vertreterin der Pflegenden, begrüßen zu können. Sie konnte nicht nur über die Praxis in deutschen Pflege- und Altersheimen sprechen, sondern thematisierte auch Defizite bei Vergütung, Ausbildung und sowie über Probleme bei der Beschaffung von Schutzausrüstung.
Sie schreiben weiter, ARD EXTRA am 1. April habe bei Ihnen „für einhellige Empörung“ gesorgt. Die Aussagen des „SWR-Pflegeexperten hätten Angehörige, verunsichert“ und „unsere Mitarbeitenden diskreditiert“.
Diese Vorwürfe kann ich nach Rücksprache mit der Redaktion ebenfalls nicht nachvollziehen. Gerne begründe ich meine Einschätzung. Sie werfen Sie dem SWR Pflegeexperten Gottlob Schober vor, er sei zur „Aussetzung der Pflegeprüfungen und dem Besuchsverbot befragt“ worden und habe darauf geantwortet, dass diese Maßnahmen „die Pflegeeinrichtungen zu einer Art black box“‚ werden lassen.
Das trifft so nicht zu. Schon die Frage war ganz anders gestellt. Hier die wörtliche Abschrift der Passagen des Interviews, die Sie kritisieren.
„Fritz Frey: Was können denn Angehörige tun, um zu prüfen, ob die Qualität des Heimes, in dem ich Angehörige habe oder unterbringen will, ob die stimmt?
Gottlob Schober: Das ist aktuell extrem schwierig, denn die Bundesregierung hat Qualitätsprüfungen bis Ende September ausgesetzt und da durch die Besuchsverbote auch kritische Angehörige, die immer mal wieder Alarm geschlagen haben, derzeit nicht in die Einrichtungen reinkommen, sind Pflegeheime momentan eine Blackbox, und das ist nicht unproblematisch. Und man muss quasi vertrauen, dass Pflegeheime gute Arbeit leisten.
Fritz Frey: Wie muss ich mir das mit dem Vertrauen vorstellen?
Gottlob Schober: Es gibt gut geführte Einrichtungen, die tatsächlich Angehörige informieren, wie es den Menschen geht und auch für Telefonate immer zur Verfügung stehen. Ich mache mir nur Sorgen um die Einrichtungen, die bereits vor Corona große Probleme hatten. Das sagte mir ein Einrichtungsleiter: Einige seiner Kollegen seien durchaus froh, dass man jetzt nicht mehr so genau hinschaue, und dann möchte ich mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn sich ein Bewohner mit Corona infiziert.“
Der SWR-Pflegeexperte hat in seiner Ausführung also klar eine Unterscheidung zwischen gut geführten Einrichtungen und Heimen, die schon „vor Corona große Qualitätsprobleme“ hatten, gemacht.
Im Übrigen ist unbestritten, dass viele Pflegekräfte insbesondere im Moment während dieser Pandemie mit großem Einsatz eine herausragende Arbeit machen. Das wird im Programm der ARD umfangreich abgebildet. Dennoch ist es auch unsere Aufgabe, kritische Punkte anzusprechen.
Die Antwort ist nun sehr ausführlich geworden. Dies zeigt Ihnen aber hoffentlich, wie wichtig auch uns das Thema Pflege in Zeiten von Corona ist – mit all seinen Aspekten und Facetten.
Mit freundlichen Grüßen
Tom Buhrow